Sonntag, 7. Juni 2015

Der Irrtum über den Rechtsstaat; oder: Die Ungerechtigkeit durch Recht

Als eine der Errungenschaften der Demokratie wird auch der Rechtsstaat gesehen. Aber ein genauerer Blick auf die Realität eines Rechtsstaats enthüllt, dass Gerechtigkeit auch dort im Streitfall ein reiner Glücksfall ist.

Ein wichtiger Punkt im Rechtsstaats sollte Rechtssicherheit, die Einhaltung von Vereinbarungen zwischen Personen oder Unternehmen sein, in Österreich sollten auch mündliche Verträge rechtlich bindend sein. Eine persönliche Erfahrung mit einer geschäftlichen Vereinbarung hat mich eines besseren belehrt, Richter und Gesetz sahen selbst eine simple schriftliche Vereinbarung welche mit Zeugen fixiert wurden, als nicht notwendiger Weise bindend an.
Und was nützt einem dann der schönste Vertrag, wenn einer der Vertragspartner ihn nicht einhält, und im Rechtsstaat damit sogar Recht bekommen kann. Weil einem der Beteiligten der Vertrag plötzlich nicht man gefällt und dieser zB. einen anderen Paragraphen auftreiben kann, mit dem ein Teil des Vertrags in Frage gestellt wird.

Das nächste Problem sind die dem Rechtsstaat zugrunde liegenden Gesetze, welche sich heute quasi im Wildwuchs vermehren. Dahinter gilt dann auch noch das Prinzip „Unwissenheit schützt vor Strafe“ nicht – somit müsste eigentlich jeden Bürger ein Rechtsstudium hinter sich bringen, um niemals in die Bedrängnis zu geraten ein Gesetz zu verletzen – und dieses Studium lebenslang fortsetzen.

Weiters sind viele dieser Gesetze sehr vage formuliert und lassen dem Richter bei seiner Entscheidung viel Spielraum und machen es für die an einem Streit Beteiligten oft unmöglich einzuschätzen, ob sie Gerechtigkeit auf Grund der Gesetze erfahren werden. Auch haben Richter oft den Antrieb Urteile zu fällen, die den Gesetzen entsprechen aber nicht unbedingt dem Gedanken der Gerechtigkeit – denn ein Richter darf sich nicht die Blöße geben Urteile zu fällen, die vielleicht aufgehoben werden könnten. Und ob Gesetze überhaupt dem Begriff Gerechtigkeit entsprechen ist die nächste Frage – oft ist es nicht so.

Manches Gesetz erscheint auch lächerlich und übertrieben, regelt Dinge welche ganz einfach mit gesundem Menschenverstand und mit gutem Willen leicht zu regeln wären.

Last but not least werden viele unethische Verhaltensweisen auch gar nicht von Gesetzen geregelt, es bleibt damit völlig unklar ob unethisches Verhalten durch den Rechtsstaat gerecht behandelt werden. Siehe etwa internationale Geldverschiebung großer Konzerne zur Vermeidung von Steuerzahlungen, was mit zB. als sehr unethisch erscheint. Wer es sich leisten kann, lässt vor seinen Handlungen prüfen, wie er Gesetze umgehen kann um maximal davon zu profitieren.

Ein weiteres Problem in Rechtsstaaten ist die Kapazität der Rechtsprechung. In vielen Ländern mangelt es an Richtern, sodass die Bearbeitung eines Falles sich über Jahre ziehen kann. Begangen ist ein Rechtsbruch sofort, entschieden und geahndet oft erst viele Jahre später.

Damit komme ich zum nächsten Punkt, denn die Dauer von Prozessen hat oft massive finanzielle Bedeutung. Es beginnt damit, dass sich ein Betroffener überhaupt erst die Kosten für einen Rechtsvertreter leisten können muss. Bei langen Prozessen wird dies immer teurer, und wohlhabende Teilnehmer eines Rechtsstreits können sich lange Zeit die routiniertesten Anwälte und Wiederholungen der Streitigkeit in weiteren Instanzen leisten, womit die Möglichkeit Recht zu erhalten kein allgemein gegebenes Recht in einem Rechtsstaat ist, sondern eine Frage der jeweiligen finanziellen Mittel.
Und in der Masse von Gesetzen bestimmt oft die genaue Kenntnis aller Gesetze rund um einen Rechtsfall und die Möglichkeit der Auslegung und Dehnung den Ausgang eines Verfahrens, und wieder nicht wer moralisch gehandelt hat.

Sicher als Gewinner gehen aus einem Rechtsstreit übrigens immer nur die Anwälte der Beteiligten hervor – diese erhalten immer ihr Honorar, egal wer gewinnt und wer verliert. Hat also sehr viel Ähnlichkeit mit Lotto bzw. Glücksspiel, wie es ausgeht ist ungewiss, und die Bank gewinnt immer ...

Hier eine kurze Zusammenfassung der vorangegangen Überlegungen:
  • Jeder Bürger müsste eigentlich Jurist sein
  • Recht zu bekommen ist oft ein Glücksspiel
  • Recht ist oft nicht Gerechtigkeit
  • Recht zu erhalten bleibt oft finanzstarken Beteiligten vorbehalten
  • Der Rechtsstaat ist daher wie mittlerweile viele andere gesellschaftliche Bereiche ein Zwei-Klassen-System
  • Vom Rechtsstaat profitieren vor allem die Rechtsvertreter

Neue Wege Gerechtigkeit zu finden, würden der sogenannten „zivilisierten Welt“ gut zu Gesicht stehen, Methoden wie Mediation und davor eine Integration umfassender sozialer, ethischer Bildung in unser Bildungssystem wären wohl weitaus effektiver als ein letztlich oft ungerechter Rechtsstaat. Mit umfassender ethischer Bildung sollte genügend Empfinden für Gerechtigkeit in den Menschen entstehen, sodass Fehlhandlungen gegenüber anderen entweder gar nicht entstehen, oder sich zumindest rasch klären ließen.
Vielleicht könnten mediative Verfahren dann auf Basis weniger ethischer Überlegungen im Einzelfall für gerechte Entscheidungen sorgen, die in Zukunft hoffentlich existente ethische Bildung sollte dafür sorgen, dass die Beteiligten ihr Verhalten ehrlich darstellen, und hoffentlich auch wesentlich weniger Ungerechtigkeiten begehen.

Was die Konsequenzen aus der Klärung solcher Fälle betrifft, so gilt es auch da zu neuen, sinnvollen Verfahren zu kommen – Menschen als Konsequenz wegzusperren hält sie zumeist davor nicht davon ab, Gerechtigkeit zu missachten. Andere Lösungen sind auch da gefragt.

Zur Illustration hier ein Link zu einem Verfahren, welches die genannten Probleme anschaulich unterstreicht:
Datenschutz-Klage gegen Facebook